Ehemals im Bestand der Gemäldegalerie Wiesbaden: Max Slevogts „Porträt von Max Liebermann“

Veröffentlicht am 8. August 2025

Dass auch die Geschichten jener Werke, die sich nicht mehr im Sammlungsbestand eines Museums befinden für die Provenienzforschung relevant sein können, zeigt das vorliegende Beispiel des ehemals (von 1927 bis 1940) zum Bestand der Wiesbadener Gemäldegalerie gehörenden Gemäldes von Max Slevogt.

Abgegeben im Tausch

Seit März 1940 befinden sich die Gemälde „Bildnis des Herrn Deinhardt“ von Simon Meister sowie Johannes Lingelbachs „Rast vor der Schenke“ in der Sammlung des Wiesbadener Museums. Beide Werke waren bereits Gegenstand von Recherchen zur Provenienz. Während für das Lingelbach-Gemälde die Herkunft bislang nicht vollständig geklärt werden konnte, lässt sich für das Bild von Simon Meister ein NS-verfolgungsbedingter Entzug mit großer Wahrscheinlichkeit ausschließen. Da die Werke gemeinsam im Tausch gegen ein Bild von Max Slevogt aus dem Bestand der Gemäldegalerie Wiesbaden erworben worden waren, lag ein wichtiger Fokus der Recherchen auf der Rekonstruktion des Erwerbskontextes und damit auch auf der Objektbiografie des weggetauschten Gemäldes.

Das Tauschgeschäft war im März 1940 mit der Wiesbadener Kunsthandlung Wilhelmine Heinemann Wwe. erfolgt, die im Gegenwert für die beiden Bilder das „Bildnis des jüdischen Malers Max Liebermann, von Slevogt gemalt“, erhalten hatte. Wie Hermann Voss‘ Schreiben an den Oberbürgermeister zur Genehmigung des Tauschs weiter zu entnehmen ist, handelte es „sich hier um ein Bild, das schon des Dargestellten wegen nicht ausstellungsfähig ist, und künstlerisch keinen allzuhohen [sic] Wert besitzt, da es auch für Slevogt wenig charakteristisch ist“.

Das signierte und auf 1901 datierte Gemälde Slevogts hatte zuvor zur Sammlung des Breslauer Kaufmanns und Kunstsammlers Leo Lewin (1881 – 1965) gehört. Im April 1927 musste Lewin angesichts wirtschaftlicher Schwierigkeiten Teile seiner Sammlung – darunter auch das „Bildnis Max Liebermann“ - bei Paul Cassirer und Hugo Helbing in Berlin zur Versteigerung geben. (Abb. 1, 2, 3)

Auktionskatalog Paul Cassirer und Hugo Helbing, Sammlung Leo Lewin - Breslau, 12. April 1927, Berlin 1927, S. 5
Abb.1: Auktionskatalog Paul Cassirer und Hugo Helbing, Sammlung Leo Lewin - Breslau, 12. April 1927, Berlin 1927, S. 5 (https://doi.org/10.11588/diglit.24294#0005).
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Auktionskatalog Paul Cassirer und Hugo Helbing, Sammlung Leo Lewin - Breslau, 12. April 1927, Berlin 1927, S. 66
Abb.2 :Auktionskatalog Paul Cassirer und Hugo Helbing, Sammlung Leo Lewin - Breslau, 12. April 1927, Berlin 1927, S. 66 (https://doi.org/10.11588/diglit.24294#0066)
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Auktionskatalog Paul Cassirer und Hugo Helbing, Sammlung Leo Lewin - Breslau, 12. April 1927, Berlin 1927, S. 67
Abb.3: Auktionskatalog Paul Cassirer und Hugo Helbing, Sammlung Leo Lewin - Breslau, 12. April 1927, Berlin 1927, S. 67 (https://doi.org/10.11588/diglit.24294#0067).
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Das Werk erhielt auf der Auktion allerdings keinen Zuschlag. Wenige Monate später, von Juli bis September 1927, war es dann in der vom Frankfurter Kunstverein ausgerichteten Slevogt-Ausstellung gezeigt und dort für den Impressionistensaal der städtischen Gemälde-Sammlung Wiesbaden erworben worden. (Abb. 4)

Schreiben Frankfurter Kunstverein an die Städtische Gemälde-Sammlung Wiesbaden vom 03.10.1927, in: Altregistratur Museum Wiesbaden, Akte „Ankäufe + Sonstiges an den Dezernenten
Abb.4: Schreiben Frankfurter Kunstverein an die Städtische Gemälde-Sammlung Wiesbaden vom 03.10.1927, in: Altregistratur Museum Wiesbaden, Akte „Ankäufe + Sonstiges an den Dezernenten (1927 – 1935).
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Im Zeitraum von 1935 bis 1944 hatte Hermann Voss für die Gemäldegalerie Wiesbaden zahlreiche Tauschgeschäfte mit der ortsansässigen Kunsthandlung Wilhelmine Heinemann abgeschlossen. Aufgrund mangelnder Überlieferung konnte bislang in den wenigsten Fällen die jeweilige Bezugsquelle dieser auch für den „Sonderauftrag Linz“ bedeutenden Wiesbadener Kunsthandlung eruiert werden. Von daher wurde versucht herauszufinden, welchen Weg das einst zur Museumssammlung gehörende Gemälde von Max Slevogt nach dem Tausch genommen hatte, um so möglicherweise Hinweise auf Netzwerke und Geschäftsbeziehungen der Kunsthandlung zu erhalten.

Heutiger Standort im Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern

Max Slevogt hatte seinen Freund und Kollegen Max Liebermann im Zeitraum 1901-1902 zweimal in Öl porträtiert. Eines der Porträts gehört zum Bestand des Landesmuseums Mainz. Das auf 1902 datierte „Bildnis Max Liebermann“ war 1972 aus dem Nachlass von Katharina Slevogt, der Nichte Slevogts, an das Landesmuseums Mainz gelangt. Bei dem zweiten „Bildnis Max Liebermann“ von 1901, das sich seit 1985 in der Sammlung des Museums Pfalzgalerie Kaiserslautern befindet, konnte im Austausch mit der Provenienzforscherin Laura Vollmers die Objektidentität zu dem Bildnis, das von 1927 bis 1940 im Eigentum der Gemäldegalerie Wiesbaden war, bestätigt werden.[1] Nach dem Tauschgeschäft mit der Kunsthandlung Heinemann lässt es sich zunächst bis 1942 bei dem Sammler Franz Josef-Kohl Weigand (1900-1972) St. Ingbert nachweisen. Im Oktober 1942 wurde es über die Mannheimer Kunsthandlung Sofie Jacobs an Sanitätsrat Dr. Theodor Kiefer (1889-1985) in Kaiserslautern verkauft. Dieser vermachte das Gemälde schließlich 1985 dem Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern.

Auch wenn sich das Gemälde bereits im Jahr 1940 bei Kohl-Weigand belegen lässt, konnte bislang kein direkter Geschäftskontakt zwischen dem Sammler und der Wiesbadener Kunsthandlung Heinemann festgestellt werden. Es bleibt derzeit noch unklar, ob Kohl-Weigand das Bildnis direkt bei Heinemann erworben hatte, oder ob im Vorfeld noch weitere Personen oder Institutionen involviert waren. Ein NS-verfolgungsbedingter Entzug kann angesichts der vorliegenden Quellen ausgeschlossen werden.

Der hier beschriebene Recherchefalles zeigt sehr deutlich, dass Provenienzforschung auch für bereits aus einer Sammlung „abgegebene“ Objekte einen hohen Stellenwert besitzt – nicht nur für die Sammlungs- und Institutionsgeschichte von Museen, beispielsweise in Wiesbaden und Kaiserslautern im Zeitraum von 1927 bis 1985 – sondern auch für die Rezeptionsgeschichte von Kunstwerken und Künstlern. Wurde das Bildnis 1927 von Seiten der Wiesbadener Gemäldegalerie noch als „schön in der Farbe und sprechend im Ausdruck“ sowie als „eine große Bereicherung der Sammlung“ beschrieben, wird es 13 Jahre später aufgrund der Darstellung des jüdischen Malers Max Liebermann als „nicht ausstellungsfähig“ und künstlerisch nicht besonders wertvoll erachtet.

Miriam Olivia Merz

[1] Vgl.: https://dc.mpk.de/Dand etails/Index/24841Öffnet sich in einem neuen Fenster, 31.07.2025.