Die Schlosskirche Ellingen als Lagerstätte 1945. Truppen der dritten US-Armee fanden dieses Lager.

Geschichte der Provenienzforschung zu NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern

NS-Kunst- und Kulturraub

Während des Nationalsozialismus wurden zahlreiche Eigentümer von Kunst- und Kulturgütern aus rassistischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt und sie verloren ihr Vermögen u.a. infolge von Enteignungen und Zwangsverkäufen. An der Enteignung beteiligt waren verschiedene staatliche Behörden, die auf der Grundlage rassistischer Gesetzgebungen handelten. Der staatlich organisierte Raub betraf jüdische Mitbürger, Menschen, die als Juden durch den Nationalsozialismus verfolgt wurden, sowie Nichtjuden, namentlich Sinti und Roma sowie Menschen anderer Nationen, und fand dabei nicht nur innerhalb des Deutschen Reichs von 1933 bis 1945, sondern auch in allen von der Deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs besetzten Gebieten statt.

Die Londoner Erklärung (1943) als Grundlage für die Restitutionsregelungen der alliierten Besatzungsmächte in Deutschland

Bereits im Jahr 1943 sprachen die Westalliierten in der sogenannten Londoner Erklärung eine generelle Ächtung der Enteignungen aus, die in den besetzten oder von Deutschland kontrollierten Gebieten durchgeführt worden waren. Mit dieser Erklärung kündigten die Alliierten zugleich an, dass entsprechende Übertragungsakte für nichtig erklärt werden.

Die Rückerstattungsgesetze der Alliierten (1947 und 1949) und das Bundesrückerstattungsgesetz (1957) regelten Restitutionen und Wiedergutmachungen auf westdeutschem Territorium. Auf die sowjetische Besatzungszone und das Gebiet der späteren DDR wurden diese Regelungen nicht angewandt. Mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1990 konnten nach dem Vermögensgesetz der DDR Ansprüche von Geschädigten für das ostdeutsche Gebiet geltend gemacht werden. Trotz dieser befristeten juristischen Verfahren ist nur ein Teil der Raubkunst entschädigt oder zurückgegeben worden.

Washingtoner Konferenz (1998)

Auf der „Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust“ Ende 1998 bestätigten 44 teilnehmende Nationen, darunter die Bundesrepublik Deutschland, gemeinsame Grundsätze in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden. Man einigte sich bei Akzeptanz der unterschiedlichen Rechtssysteme auf elf Aspekte im Umgang mit NS-verfolgungsbedingt verbrachten Kunstwerken.

Sammlungen und Bestände auf das Vorhandensein von NS-Raubgut hin überprüft, identifizierte Objekte an die Opfer oder deren Erben zurückgegeben werden oder zusammen mit ihnen nach anderen gerechten und fairen Lösungen gesucht werden soll.

Es sollten Anstrengungen unternommen werden, entsprechend belastete Kunstwerke in den Sammlungen und Beständen zu identifizieren und diese an die Opfer oder deren Erben zurückgegeben werden. Für die Erforschung der Vorgänge müssten Mittel und Personal bereitgestellt und ein zentrales Register aller diesbezüglicher Informationen eingerichtet werden. Ziel der Washingtoner Erklärung war die Entwicklung von „gerechten und fairen Lösungen“ für alle beteiligten Parteien.

Gemeinsame Erklärung (1999)

Mit ihrer Erklärung zur „Auffindung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom Dezember 1999 („Gemeinsame Erklärung“) haben sich Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände zur Verwirklichung der Washingtoner Erklärung bekannt. Die Gemeinsame Erklärung unterstreicht, dass die Identifizierung und Rückgabe von NS-Raubgut zu den Kernaufgaben der öffentlichen Kultureinrichtungen gehört. Darüber hinaus appellieren Bund, Länder und Kommunen mit der Gemeinsamen Erklärung an privatrechtlich organisierte Einrichtungen und an Privatpersonen, sich aktiv an der Umsetzung der Washingtoner Erklärung zu beteiligen.

Lost-Art-Datenbank (2000)

Im Jahr 2000 wurde von der in Magdeburg angesiedelten Koordinierungsstelle die Lost Art-Datenbank online geschaltet (www.lostart.deÖffnet sich in einem neuen Fenster).  Über die Ver­öf­fent­li­chung der Such- und Fund­mel­dun­gen sol­len frü­he­re Ei­gen­tü­mer bzw. de­ren Er­ben so­wie heu­ti­ge Be­sit­zer zu­sam­men­ge­führt und – so­fern es sich um NS-Raub­gut han­delt – fai­re und ge­rech­te Lö­sun­gen im Sin­ne der vor­be­zeich­ne­ten Wa­shing­to­ner Grund­sät­ze bzw. der Ge­mein­sa­men Er­klä­rung gesucht wer­den.

Arbeitsstelle für Provenienzforschung, Berlin (2008)

Über die Arbeitsstelle für Provenienzforschung (AfP) am Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz setzte 2008 die staatlich finanzierte Unterstützung der Provenienzforschung ein. Aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) wurden zahlreiche Projekte zur Suche nach NS-Raubgut an deutschen Museen, Bibliotheken und Archiven gefördert und angestoßen.

Schwabinger Kunstfund (2013)

Mit dem sogenannten „Schwabinger Kunstfund“ und seinem enormen Medienecho rückte die Problematik der NS-Raubkunst erneut ins öffentliche und politische Bewusstsein.

Arbeitskreis Provenienzforschung e.V. (2014)

Im November 2000 gründeten vier Provenienzforscherinnen den Arbeitskreis Provenienzforschung, um sich fachlich auszutauschen. Daraus entwickelte sich in den Folgejahren, auch über halbjährlich organisierte Treffen, ein dichtes Netzwerk von über 90 Forscherinnen und Forschern, die sich im November 2014 zum eingetragenen Verein zusammenschlossen. Mittlerweile besteht der Arbeitskreis Provenienzforschung e.V. aus über 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und den USA.

Der internationale Arbeitskreis Provenienzforschung e.V. fördert die Entwicklung der Provenienzforschung in allen ihren Tätigkeitsfeldern. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die interdisziplinäre wissenschaftliche Erforschung der Herkunft, Sammlungs- und Eigentumsgeschichte von Kulturgütern zu systematisieren und methodisch zu festigen.

Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (2015)

2015 wurde die Stiftung Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste mit Sitz in Magdeburg gegründet. In ihr wurden die Arbeitsstelle für Provenienzforschung und die Koordinierungsstelle Magdeburg zusammengeführt. Getragen wird die Stiftung von der Bundesregierung, allen 16 Ländern und den drei kommunalen Spitzenverbänden.

Neben zahlreichen überwiegend drittmittelfinanzierten Projekten mit befristeten Laufzeiten an öffentlichen und privaten Einrichtungen wurden ab 2012 sukzessive in mehreren Bundesländern erste feste Stellen für Provenienzforscher*innen sowie Forschungsverbünde eingerichtet.