Provenienzforschung in der Skulpturensammlung des HLMD

In den kommenden zwei Jahren werden im Hessischen Landesmuseum Darmstadt circa 120 Skulpturen mit Entstehungszeitraum vor 1945 und dem Erwerbungszeitraum von 1933 bis heute auf ihre früheren Besitzer hin untersucht.

Ziel des Projektes ist eine systematische Erforschung zur Herkunft und Geschichte der Objekte. Vorrangig mit dem Zweck möglicherweise oder eindeutig belastete Objekte in Bezug auf einen NS-verfolgungsbedingten Verlust zu identifizieren. 

Die vor 1945 entstandenen und seit 1933 erworbenen Objekte zeugen von einer auf Vervollständigung ausgelegten Ankaufspolitik des Hessischen Landesmuseums Darmstadt, dessen Grundstock der so umfangreichen Skupturensammlung bereits von Großherzog Ludewig I. von Heesen und bei Rhein (1753-1830) und durch das Legat der Sammlung Hüpsch gelegt wurde. Somit verwundert es nicht, dass die nun anstehenden Recherchen Skulpturen unterschiedlichster Materialien wie Elfenbein, Lindenholz, Gips oder Marmor aus fast acht Jahrhunderte bildhauerischer Tätigkeit umfassen und damit die gesamte Bandbreite der Sammlung Darmstadt abdecken.

Apostel aus Walrosszahn 

Die älteste Skulptur– ein Apostel aus Walrosszahn – wurde Ende des 12. Jahrhunderts in Köln gefertigt. Stilistisch ist das circa 8 cm messende und dreiviertelrund gearbeitete Figürchen den Aposteln des Kuppelreliquiars aus dem Welfenschatz zuzuordnen (heute im Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Museen zu Berlin). Das Forschungsprojekt versucht nun zu klären, wie der Apostel in den Darmstädter Kunsthandel kam, aus dem er 1936 für das Museum erworben worden ist.

Apostel Skulptur
Apostel, Walrosszahn, Köln, Ende 12. Jh., HLMD

Bronze-Relief von Käthe Kollwitz

Das jüngste zu untersuchende Objekt ist ein Bronze-Relief von Käthe Kollwitz. Ursprünglich als Denkmal für das Grab des am 24. Oktober 1938 verstorbenen Künstlers Ernst Barlach entworfen, wurden Exemplare der „Klage“ in Bronze gegossen und in den Handel gegeben. Das Darmstädter Relief wurde 1957 beim Darmstädter Helmut Rauch angekauft.

Das Relief zeigt das Gesicht des verstorbenen Künstlers, dessen eine Hälfte von der linken Hand bedeckt und dessen schreiender Mund von der rechten Hand zugehalten wird. Wem das ausdrucksstarke Bronze-Relief seit seinem Guss 1938 gehörte, soll nun erforscht werden.

Dabei stellt die Erforschung der Provenienzen dieser circa 120 Skulpturen so manche Herausforderung dar, denn die hauseigenen Akten zu Angeboten und Ankäufen im Zeitraum 1933 bis 1944 sind in der Bombennacht vom 11./12. September 1944 vollständig zerstört worden. Rechnungen, Korrespondenzen, Fotos und andere Quellen zu den Ankäufen finden sich also nicht mehr in den Beständen des Museums. Damit muss die Forschung gerade für den kritischen Ankaufszeitraum zwischen 1933 und 1945 mit erheblichen Überlieferungslücken umzugehen wissen und auf externe Quellen wie Archive, Datenbanken und Bibliotheken zurückgreifen, um die Provenienzlücken zu füllen.

Büste aus Bronze
Käthe Kollwitz, Klage, Bronze, bruniert, 1938/39, HLMD

Bronze-Plastik von Alfred Flechtheim

Anders als bei unikalen Gemälden befinden sich unter den zu untersuchenden Objekten Bronzeplastiken, die in Auflage entstanden sind. Auflagenwerke stellen eine weitere Herausforderung an die Provenienzforschung. Wem genau welches Stück der Auflage gehört hat, lässt sich nur schwer rekonstruieren. So auch die Provenienzen des Antlitzes Alfred Flechtheims, das Rudolf Belling 1927 in Bronze gießen ließ. Auch in Darmstadt fehlt dieses futuristische Werk nicht, für das Belling lediglich Augen Nase und Lippen nutzte, um den Berliner Galeristen zu porträtieren. 1961 wurde die Bronze-Plastik bei der Galerie Vömel erworben. Aus der Galerie Vömel stammt auch das Exemplar, das sich nun im Museum Ludwig in Köln befindet.

Bronze-Plastik Skulptur eines Gesichts
Rudolf Belling, Alfred Flechtheim, Bronze, dunkel patiniert, 1927, HLMD

Auch für die mittelalterlichen Bildwerke ist der Ideenreichtum der Provenienzforscher gefragt. Skulpturen der Zeit sind kaum bestimmten Künstlern zuordenbar, sie werden Regionen und Werkstätten der Herstellung zugeschrieben. Zudem änderten sich Zuschreibungen und Titel im Laufe der Zeit stetig – feste Suchparameter haben Seltenheitswert.

Sarah von der Lieth

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