Das Gemälde und seine kunsthistorische Einordnung
Das „Bildnis einer Frau in Dreiviertelfigur“ des niederländischen Portraitmalers Thomas de Keyser (1596/97 – 1667) befindet sich seit 1959 im Besitz der Gemäldegalerie der Staatlichen Kunstsammlungen Kassel, zunächst als Dauerleihgabe des Hessischen Ministers für Erziehung und Volksbildung. Sowohl der Zeitpunkt des Kaufs als auch der Verkäufer, der Londoner Kunsthändler W. Katz sind in der Bildakte vermerkt. Dort findet man auch einen ersten Hinweis auf einen früheren Besitzer. Einer Bleistiftnotiz zufolge stammte es ehemals aus der Sammlung Pierpont Morgan. Aber lässt sich das belegen? Der Bildakte selbst und auch dem Hausarchiv waren keine Ankaufsunterlagen mit weiteren möglichen Hinweisen auf die Herkunft des Gemäldes zu entnehmen. Die Suche nach Gegenüberlieferungen in externen Archiven sowie nach näheren Informationen zur Sammlung Pierpont Morgan begann.
Ein fast weltweiter Weg - Die Erstellung der Provenienzkette
Wichtige Quellen sind für die Provenienzforscher*innen die im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden befindlichen Aktenbestände des Hessischen Kultusministeriums. Bis zur Teilung des Kultusressorts im Juli 1984 waren diesem Ministerium bzw. dem Ministerium für Erziehung und Volksbildung (1949-1983) neben zahlreichen weiteren öffentlichen Einrichtungen wie Hochschulen, Bibliotheken, Archiven etc. das Landesmuseum Darmstadt und die Staatlichen Kunstsammlungen in Kassel nachgeordnet.
Für die Laufzeit 1953 bis 1976 sind Dokumente zu den „Erwerbungen der Staatlichen Kunstsammlungen Kassel“ vorhanden, die wertvolle Hinweise zur Provenienz des Portraits von Thomas de Keyser geben. Die Originalrechnung des Londoner Kunsthändlers Dr. Willy Katz vom 20. Juli 1959 an die Gemäldegalerie, Hessisches Landesmuseum Kassel bestätigt den Ankauf des Bildes für £750,- aus der Sammlung Pierpont Morgan New York.
Wie aus weiteren Dokumenten hervorgeht, handelte es sich um eine Erwerbung des Hessischen Ministeriums für Erziehung und Wissenschaft, die den Staatlichen Kunstsammlungen in Kassel als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt wurde.
Die Überweisung des Rechnungsbetrages erfolgte durch den Hessischen Minister für Erziehung und Volksbildung über die Staatshauptkasse in Wiesbaden. Im August 1963 wurde der Status der Dauerleihgabe per Erlass des Hessischen Kultusministers gelöscht und das Gemälde sollte neben weiteren in das laufende Inventar der Staatlichen Kunstsammlungen Kassel eingetragen werden.
Von der Alten in die Neue Welt und zurück
Zur Bildung einer Provenienzkette galt es in einem nächsten Schritt die Provenienzangabe „Sammlung Pierpont Morgan“ sowie den Übergang des Gemäldes zu dem Kunsthändler Dr. W. Katz mit Dokumenten zu belegen. Einen wichtigen Hinweis gab ein Auszug aus Ann Jensen Adams‘ 1985 veröffentlichter Dissertation nebst Werkverzeichnis zu den Gemälden von Thomas de Keyser. Das Kasseler Gemälde ist dort mit aufgeführt, allerdings unter den Werken, die laut Adams nicht Thomas de Keyser zuzuschreiben seien. Vielleicht eine Enttäuschung für das Museum, für die Provenienzangaben jedoch ein weiteres Glied in der Kette: das aus der Sammlung J. Pierpont Morgan stammende Porträt sei im März 1944 bei Christie’s London versteigert worden, bevor es im Mai 1959 bei einem Londoner Kunsthändler von der Gemäldegalerie Kassel erworben wurde. Der entsprechende Auktionskatalog liegt in der Bibliothek der Museumslandschaft Hessen Kassel vor:
Darin wird unter der Lot-Nummer 128 ein „Portrait einer Dame“ von Th. de Keyser aufgeführt.
Die Bildbeschreibung und die Maß- und Materialangaben (auf Holz - 43 x 30 ½ Inches) stimmen weitestgehend mit dem Kasseler Gemälde überein. Bei der Rückseitenuntersuchung wurde auf der parkettierten Rückseite der Holztafel die mit weißer Kreide aufgebrachte Ziffernfolge „128“ festgestellt– sie entspricht der Lot-Nummer im Versteigerungskatalog und bestätigt ein weiteres Mal die Werkidentität.