Hugo Höppener, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Fidus (1868 – 1948), war eine prägende Figur der deutschen Lebensreformbewegung und des Jugendstils. Seine Werke, wie „Totenklage“ (1910) und „Tröstender Schoß“ (1911), sind tief in einer mystischen Symbolik verwurzelt. Beide Werke veranschaulichen nicht nur die Themen Trauer und Trost, sondern auch eine subtile, fast erotische Verbindung zwischen den Figuren, die sowohl körperliche als auch seelische Heilung suggeriert.
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Fidus – Ein Künstler zwischen Lebensreform und Nationalsozialismus


Fidus propagierte in seiner Kunst eine Rückkehr zur Natur, eine spirituelle Erneuerung und einen gesunden Lebensstil. Doch trotz seiner Hoffnungen, dass das nationalsozialistische Regime seine spirituellen und naturverbundenen Ideale teilen könnte, stieß seine Kunst und sein Lebensmodell bei vielen Nationalsozialisten auf Ablehnung. Der Künstler war ein frühes Mitglied der Reichskulturkammer und versuchte sich den neuen Machthabenden immer wieder anzunähern, er bat wiederholt um finanzielle Unterstützung, Ausstellungsbeteiligung und fertigte sogar ein „Führerbildnis“ an, doch seine pazifistischen und mystischen Ansichten widersprachen der nationalsozialistischen Ideologie.

Von Fidus zu Bormann
Angesichts seiner finanziellen Notlage in den späten 1930er und frühen 1940er Jahren verkaufte Fidus im Juli 1942 18 Bilder für 4000 Reichsmark an den Münchener Antiquar und Kunsthändler Guenther Koch (Neueutherstr. 15, München). Noch im selben Jahr erwarb Martin Bormann (1900 – 1945), Reichminister und ein enger Vertrauter Adolf Hitlers (1889 – 1945), diese Werke. Bormann war ein wichtiger Akteur der nationalsozialistischen Kulturpolitik und nutzte Kunstwerke, die den Idealen der NSDAP entsprachen, für die Repräsentationsräume seiner Dienstwohnung in der Reichssiedlung Rudolf Heß in Pullach bei München. Bormann war besonders für die Beschaffung von Kunstwerken bekannt, die den „nordischen“ oder „deutschen“ Idealen der NSDAP entsprachen.

Im Central Collecting Point München
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als die US-Streitkräfte 1945 die Siedlung Rudolf Heß einnahmen, wurden viele von Bormanns Besitztümer, einschließlich der Kunstwerke, beschlagnahmt und in den Central Collecting Point in München verbracht. Diese zentrale Sammelstelle war von den Alliierten eingerichtet worden, Kunstwerke und Kulturgüter zu sichern, zu dokumentieren und an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben.
Mauerbach Sale 1996
Der Münchener CCP schloss 1951 seine Tore und über 900 Objekte wurden im Januar 1952 von München in die Salzmine in Bad Aussee in Österreich überführt und damit der österreichischen Bundesregierung übergeben. Es ist unklar wie diese Auswahl getroffen wurde, vermutlich basierte es auf der Annahme, dass die Kunstwerke während der NS-Zeit in Österreich beschlagnahmt oder anderweitig enteignet worden waren. Erst später stellte sich heraus, dass ein Großteil der Werke aus Deutschland stammte.
Kurz darauf wurden die Bilder von Fidus mit vielen weiteren Kunstwerken in das Kloster Mauerbach bei Wien überführt. Dort wurden sie bis Mitte der 1990er Jahre gelagert. Mit einiger Vorlaufszeit beschloss man, alle Objekte auf die keine Eigentumsansprüche erhoben worden war, zugunsten von Opfervereinigungen zu versteigern. Dafür wurden sie an den Bundesverband der Israelitischen Kultusgemeinde Österreich zur weiteren Verwertung übereignet.
Am 29. und 30. Oktober 1996 organisierte das Auktionshaus Christie’s im MAK-ÖSTERREICHISCHES MUSEUM für angewandte KUNST Wien die Versteigerung der insgesamt 1.045 Katalognummern. Durch diese Auktion konnte ein Erlös von etwa 120 Millionen Schilling (8 Millionen US-Dollar) erzielt werden. Dieser kam Menschen zugute, die aufgrund von Abstammung, Religion oder aus politischen Gründen durch das NS-Regime verfolgt worden waren.
Mauerbach und seine Kontroversen
Der Mauerbach Sale wurde kontrovers diskutiert. Kritiker bemängelten, dass die Auktion einem endgültigen Verlust der Kunstwerke für die Nachkommen der ursprünglichen Besitzer gleichkam und im Vorfeld nicht genügend recherchiert worden war. Andere sahen in der Versteigerung jedoch eine pragmatische Lösung, da es nach Jahrzehnten oft keine konkreten Erben mehr gäbe oder diese schwer auffindbar wären. Darüber hinaus wurde die Auktion zu einem Katalysator für eine breitere gesellschaftliche und wissenschaftliche Diskussion über Restitution und die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Kunstraubs. Insbesondere die ungeklärten Provenienzen der Werke warfen Fragen nach der Verantwortung des Kunstmarkts, der Museen und der Politik auf, sich intensiver mit der Herkunft solcher Objekte zu befassen und Standards für den Umgang mit Raubkunst zu entwickeln.
Beide Bilder wurden auf der Auktion ersteigert und erzielten weit höhere Preise als zuvor geschätzt wurde. „Tröstender Schoß“ ging in eine Kunsthandlung nach Hannover und wurde dort 2006 von Ferdinand Wolfgang Neess erworben. „Totenklage“ ging in den Pariser Kunsthandel, wo es 2013 von Herrn Neess gekauft wurde. Beide Bilder wurden dem Museum Wiesbaden 2017 als Schenkung überlassen.
Provenienz und Verantwortung
Die Provenienzgeschichte von Fidus’ „Totenklage“ und „Tröstender Schoß“ verdeutlicht die komplexen Verflechtungen von Kunst, Politik und Geschichte im 20. Jahrhundert. Von ihrer Entstehung im Kontext der Lebensreformbewegung, über ihre Instrumentalisierung durch die nationalsozialistische Kulturpolitik, bis hin zum Bestand eines Landesmuseums. Der Weg dieser Werke durch verschiedene Hände, von Fidus über Martin Bormann bis hin zu den Alliierten und der anschließenden Mauerbach-Auktion, wirft zentrale Fragen bezüglich der heutigen Verantwortung und der angemessenen Aufarbeitung von Kulturgütern auf.
Der „Mauerbach Sale“ und die spätere Schenkung der Werke an das Museum Wiesbaden unterstreichen die fortwährende Relevanz der Provenienzforschung und die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit der Herkunft von Kunstwerken – besonders wenn Objekte ohne vorherige Provenienzprüfung als Schenkung von Museen angenommen werden.
Larissa Engler