Eine fast vollständig rekonstruierte Provenienzkette: Fritz von Uhdes Gemälde „Gang nach Bethlehem“

Veröffentlicht am 13. Dezember 2023

Der „Gang nach Bethlehem“ zählt zu Fritz von Uhdes Werkgruppe der religiösen Bilder, in denen der Künstler jeweils biblische Themen in Szenen des „gewöhnlichen Lebens“ in den Alltag seiner Zeit übertrug.

Dem dargestellten Landschaftsmotiv liegen Freilichtstudien des Malers in der Umgebung der Moorkolonie Augustenfeld in Dachau zugrunde. Hier hatte sich Fritz von Uhde ab 1888 mehrfach zum Arbeiten aufgehalten und hatte mehrfach das Motiv der Dorfstraße, die durch Augustenfeld nach Schleißheim führt, skizziert. Auf dieser zugefrorenen Straße bewegt sich ein ärmlich gekleidetes Paar vom Betrachter weg vorwärts durch die Unwirtlichkeit der kargen Winterlandschaft in Richtung einer Ansammlung einfacher Häuser, aus deren Fenstern vereinzelt kleine orangefarbene Lichter herausleuchten.

Das Paar ist in Rückenansicht mit leicht ins Profil gedrehten Köpfen dargestellt. Der Mann hält mit seinem rechten Arm stützend die offensichtlich hochschwangere Frau. Er trägt einen Rucksack und über seiner linken Schulter eine Säge, die ihn als Zimmermann kennzeichnet. In Verbindung mit dem Bildtitel verweist die Säge als Attribut des Zimmermanns Josef auf die bekannte Weihnachtsgeschichte des Lukas-Evangeliums und die vergebliche Suche von Maria und Josef nach einer Unterkunft in Bethlehem vor der Geburt ihres Sohnes Jesus.

Ölgemälde mit goldenem Rahmen
Fritz von Uhde, Gang nach Bethlehem, 1890, Öl auf Leinwand, 92 x 110 cm

Das Gemälde hatte 1980 als Schenkung der Eheleute Rose und Friedrich Klein Eingang in die Sammlung des Museums Wiesbaden gefunden. Im Zuge der Recherchen zu seiner Provenienz wurde ein NS-verfolgungsbedingter Entzug aus der Sammlung von Rudolf Mosse, Berlin festgestellt. Nach der Restitution und einer Einigung mit der Erbengemeinschaft nach Felicia und Rudolf Mosse wurde das Gemälde Uhdes Anfang September 2017 mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung und der Hessischen Kulturstiftung für das Museum Wiesbaden angekauft.

Initialer Anlass für die Untersuchung der Provenienz des Gemäldes war eine auf der Bildrückseite vorgefundene Aufschrift „Mosse Leipzigerpl. 15“, die auf die berühmte Sammlung des Berliner Verlegers und Kunstsammlers Rudolf Mosse verweist. Mittels weiterer Recherchen konnte letztlich die Zugehörigkeit des Gemäldes zur Sammlung Mosse seit 1890 bestätigt werden. Wie aus einer Korrespondenz zwischen Fritz von Uhde (1848 -1911) und Rudolf Mosse (1843-1920) hervorgeht, hatte der Sammler 1890 direkt bei Fritz von Uhde eine weitere Version des im selben Jahr durch Prinzregent Luitpold für die Münchener Pinakothek erworbenen Gemäldes „Der Schwere Gang“ in Auftrag gegeben. Fritz von Uhde informierte Rudolf Mosse in einem Schreiben vom 28.12.1890 über den Versand des Gemäldes nach Berlin: (…) „Vor ca. 2 Tagen ist das seiner Zeit […] bei mir bestellte Bild – freie Wiederholung meines in der Pinakothek hier befindlichen Bildes – von dem Vergolder Barth & Compagnie, welche den Rahmen gefertigt haben, direkt an Ihre Adresse nach Berlin abgesendet worden“. Dieser Hinweis auf den Rahmenbauer wird anhand eines auf dem Zierrahmen eingebrannten Stempels des Münchener Vergolderwarengeschäfts bestätigt.

Detail der Rückseite (Stempel Conrad Barth & Comp., Vergolderwaren-Geschäft München)
Detail der Rückseite (Stempel Conrad Barth & Comp., Vergolderwaren-Geschäft München)

Ab 1896 ist das Gemälde mehrfach als zur Sammlung Rudolf Mosse gehörend publiziert. Der Kunstkritiker und Journalist Max Osborn (1870–1946) etwa beschreibt 1912 die Kunstsammlung als „eine der großartigsten und reichhaltigsten deutschen Sammlungen von Werken neuerer Kunst“ – in der Uhde mit einer der schönsten Fassungen des öfter behandelten Themas vom „Gang nach Bethlehem“ vertreten sei. Alle ab 1908 erschienenen Kataloge zur Kunstsammlung Rudolf Mosse führen das Gemälde auf. Nach dem Tod Mosses im Jahr 1920 ging neben seinem Berliner Verlagsimperium auch die Kunstsammlung an seine Tochter Felicia (1888-1972) und ihren Ehemann Hans Lachmann-Mosse (1885-1944) über.

Kurz nach dem Machtantritt liquidierten die Nationalsozialisten das durch die Weltwirtschaftskrise stark angeschlagene Verlagshaus. Gleichzeitig setzten Verfolgungsmaßnahmen gegen die als Juden verfolgten Nachkommen von Rudolf Mosse ein. Das gesamte Vermögen der Familie wurde unter staatliche Verwaltung gestellt und ihr so entzogen. Auch die kostbare Kunstsammlung gelangte unter die Kontrolle des Regimes und wurde am 29. Mai 1934 durch das Berliner Auktionshaus Rudolph Lepke versteigert. Fritz von Uhdes, „Gang nach Bethlehem“ ist im Versteigerungskatalog unter der Lotnummer 98 aufgeführt und wurde für 7.700,- RM von dem Berliner Kommissionär Carl Braunstein (1887-??) erworben. Im Frühjahr 1936 ist das Gemälde dann in einer Ausstellung der Berliner Akademie der Künste (Jubiläums-Ausstellung „Deutsche Malerei und Graphik vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart“) nachweisbar. Der begleitende Ausstellungskatalog führt es als Leihgabe von „Dipl.-Ing. Klein, Stettin“ auf.

Buchseite
Katalog Rudolph Lepke’s Kunst-Auctions-Haus, Berlin: Kunstsammlung Rudolf Mosse, Berlin, Nr. 2075.1934
Auszug aus Buch mit Bild von Gebäude
Katalog Rudolph Lepke’s Kunst-Auctions-Haus, Berlin: Kunstsammlung Rudolf Mosse, Berlin, Nr. 2075.1934
Buchseite mit zwei Bildern
Katalog Rudolph Lepke’s Kunst-Auctions-Haus, Berlin: Kunstsammlung Rudolf Mosse, Berlin, Nr. 2075.1934

Der Auktionskatalog der Versteigerung kann digital auf der Webseite der Universitätsbibliothek HeidelbergÖffnet sich in einem neuen Fenster abgerufen werden. 

Danach lässt sich das Gemälde lange Zeit nicht mehr öffentlich nachweisen - bis es 1980 als Schenkung von Rose und Friedrich Klein an das Museum Wiesbaden übergeben wurde. Es ist davon auszugehen, dass es sich während der gesamten Zeit im Privatbesitz von Rose und Friedrich Klein, die ab 1957 in Wiesbaden lebten, befunden hatte.

Miriam Olivia Merz