Undurchsichtig? Erwerbung von Glasmalerei in der NS-Zeit

Glasmalerei Dreipass mit Drachen
Dreipass mit Drachen, Glasmalerei, Niederösterreich um 1400

Nach dem Ende der Monarchie durchlebte das Hessische Landesmuseum Darmstadt in den 1920er Jahren eine Phase der Neuorientierung. Der damalige Direktor August Feigel und sein Kustos Heinz Mertens planten, das Museum zu einem Forschungszentrum für deutsche Glaskunst auszubauen. Durch die Sonderausstellung „Deutsches Glas  ̶  Zweitausend Jahre Glasveredelung“ erfuhr im Sommer 1935 auch die Öffentlichkeit von diesen Bestrebungen. Finanziert mit dem äußerst fragwürdigen Verkauf von wertvollen italienischen und französischen Zeichnungen und Gemälden waren ab 1933 verstärkt Ankäufe auf dem Kunstmarkt getätigt worden. Wichtigster Lieferant der begehrten mittelalterlichen Glasmalerei war zunächst der langjährige Geschäftspartner des Landesmuseums, der Berliner Kunsthändler Johannes Hinrichsen. 

Doch 1938 änderte sich dies: Die Ankäufe von österreichischer und anderer Glasmalerei erfolgten nun über die Galerie Fischer in Luzern und später über deren Darmstädter Mittelsmann Carl W. Buemming. Die Gründe hierfür sind nicht bekannt. Immerhin bot die Galerie Fischer regelmäßig hochwertige, aus Österreich zum Verkauf in die Schweiz ausgeführte Ware an. Aber warum war das Angebot an Glasmalerei so hochwertig? Die kirchlichen Institutionen in Österreich waren nach dem Ende der Monarchie durch die nun erfolgende Besteuerung ihrer Einnahmen und ihres Besitzes verschuldet und trennten sich in den 1920er und 1930er Jahren von Kunstwerken und Antiquitäten. Die Weltwirtschaftskrise machte sich ebenfalls bemerkbar, denn nach dem Bankrott seiner Bank 1931 kam die Sammlung des bekannten Wiener Kunstkenners Stefan von Auspitz auf den Markt. 

Zwei gotische Scheiben aus dieser Sammlung, der „Dreipass mit dem Dachen“ (ursprünglich aus der Abtei Klosterneuburg bei Wien) und die „Schergengruppe aus einer Steinigung des Hl. Stephanus“ (aus der Steiermark stammend) gelangten auf bisher unbekanntem Weg in die Sammlung des Wiener Arztes Heinrich Keitler. Nach dessen Tod 1937 wurde die Sammlung von der Galerie Fischer in Luzern unter dem Titel „Sammlung eines Wiener Arztes“ versteigert. Beide Stücke waren zu einem Los zusammengefasst und blieben unverkauft. Erst 1943 und 1944 gelangten sie durch Tausch bzw. Kauf mit Carl. W. Buemming ins Hessische Landesmuseum. Doch wie waren die Scheiben aus dem Besitz von Irma Keitler in den von Buemming gekommen? Überraschenderweise stelle sich bei den Recherchen heraus, dass Theodor Fischer der Witwe Keitler die Sammlung bereits vor der Auktion abgekauft und sie anschließend auf eigene Rechnung versteigert hatte. Ob Fischer die nicht verkauften Scheiben anschließend bis 1943 behielt oder ob es einen Zwischenbesitzer gegeben hat, konnte bislang nicht ermittelt werden.

Udo Felbinger

Glasscheibe Schergengruppe aus einer Steinigung des Hl. Stephanus
Schergengruppe aus einer Steinigung des Hl. Stephanus, Glasmalerei, Steiermark um 1400-1420

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