Durch Zwangsverkauf verstreut – die Fayence-Sammlung von Michel Oppenheim

Der Jurist Michel Oppenheim (1885–1963) war bei der Stadt Mainz angestellt, bis diese ihn 1934 zwangspensionierte. Als Jude war Oppenheim in der Folge weiteren Repressionen der NS-Herrschaft ausgesetzt. Im Sommer 1937 kündigte die Stadt Mainz der Familie Oppenheim ihre Mietwohnung in der Goldenluftgasse. Der erzwungene Umzug in eine kleinere Wohnung brachte den passionierten Keramiksammler in große Schwierigkeiten. Wo sollte er nun seine umfangreiche Sammlung von Höchster Porzellan, von Fayencen und anderen Antiquitäten unterbringen?

Notgedrungen entschloss er sich, u.a. 65 Fayencen zu verkaufen. Durch die Vermittlung seines Freundes Kurt Röder (1881– 1943), dem Leiter der Großherzoglichen Porzellansammlung in Darmstadt, gelang es ihm, das Ehepaar Seiler in Köln als Käufer zu finden. Dieses zahlte einen niedrigen Preis, denn wie sich zeigen sollte, war es nur an einem besonderen Frankfurter Fayencekrug interessiert, jedoch nicht an der eigentlichen Sammlung. Kurz nach dem Erwerb verkaufte das Ehepaar Seiler 63 der 65 Fayencen an den Münchener Antiquar Ludwig Steinhauser (um 1878–nach 1952), einen bekannten Händler für Keramik. Dort erwarb im November 1939 das Hessische Landesmuseum Darmstadt eine Teekanne der Manufaktur Kelsterbach aus dem 18. Jahrhundert für seine Sammlung. 

weiße Porzellan-Teekanne
Teekanne, Fayence, Manufaktur Kelsterbach, um 1765
Teekanne von unten
Reliefierte Marke „HD“ auf der Unterseite der Teekanne

Michel Oppenheim überlebte den Holocaust in einem Versteck bei einem Freund und konnte einen Teil seiner Porzellansammlung vor dem Zugriff der NS-Behörden verbergen. In den 1950er Jahren versuchte Oppenheim, die zwangsverkauften Objekte – darunter die Fayencen – zurückzubekommen. Auf einer Liste in der Prozessakte zum Verfahren gegen die Witwe Clara Seiler ist unter der Nummer 52 die Kelsterbacher Teekanne aufgeführt. Im Prozess vor dem Landgericht Mainz sagte Steinhauser aus, dass er die Sammlung vom Ehepaar Seiler erworben und die Stücke einzeln weiterverkauft habe. Durch die Zerstörung seiner Geschäftsräume bei einem Luftangriff 1944 seien alle Unterlagen und nicht verkauften Stücke zerstört worden, so dass er über den Verbleib der Fayencen nichts sagen könne.

Auszug aus Buch
Eintrag aus dem Inventarbuch des HLMD 1928-1958 vom 28. November 1939: „kleine (?) gedrehte weiße Fayence-Kanne, Kelsterbach, HD im Relief“ Preis 30 RM „von Antiquar Steinhäuser (sic) München. Ehemals Besitz Michel Oppenheim, Mainz“

Vor Gericht schlossen Michel Oppenheim und Clara Seiler einen Vergleich. Oppenheim wusste also nicht, dass die Teekanne sich all die Jahre in seiner Nähe befunden hatte. Durch proaktive Provenienzforschung ist es nun gelungen, die Teekanne als NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut zu identifizieren. Die Erbin nach Michel Oppenheim erhebt keine Ansprüche auf die Teekanne, so dass sie im HLMD verbleiben wird. Von allen anderen Fayencen der Sammlung Oppenheim fehlt bislang jede Spur.

Udo Felbinger

Die Teekanne ist noch bis 15.9.24 in der Ausstellung „Herkunft [un]geklärt.“ im Landesmuseum Mainz Öffnet sich in einem neuen Fensterausgestellt