Ergebnisse der Provenienzforschung zu Oskar Zwintschers (1870-1916) „Bildnis mit Narzissen“

Gemälde von Oskar Zwintscher
Oskar Zwintscher, Bildnis mit Narzissen, 1905

Bei Vorbereitungen zur Ausstellung „Oskar Zwintscher und die Kunst um 1900“ der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden im Jahr 2022 war die möglicherweise belastete Provenienz des seit 2017 zur Sammlung des Museums Wiesbaden gehörenden Gemäldes von Oskar Zwintscher anhand einer Suchmeldung auf der website „Lost Art“ aufgefallen. Die daraufhin unternommenen Tiefenrecherchen bestätigten letztlich einen NS-verfolgungsbedingten Entzug. Das 1905 entstandene „Bildnis mit Narzissen“ lässt sich im Juli 1939 in der Kunstsammlung des als Juden verfolgten Sigmund Waldes (1877-1961) nachweisen.

Sigmund Waldes, Dresden

Sigmund Waldes hatte ab 1908 die Dresdener Dependance der Metallwarenfabrik Waldes & Co. geleitet, deren bekanntestes Produkt der Druckknopf Koh-i-noor war. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Ida Waldes, geb. Hirsch (1888-1977), hatte er ab 1916 eine bedeutende Kunstsammlung aufgebaut. Ein Inventar der Sammlung hat sich nicht überliefert, aber der Katalog der III. Jubiläumsausstellung „Neuere Kunstwerke aus Dresdner Privatbesitz“ des Sächsischen Kunstvereins zu Dresden von 1929 gibt einen Eindruck. Der „Fabrikbesitzer Sigmund Waldes“ ist darin als Leihgeber von insgesamt 17 Gemälden aufgeführt, darunter befand sich auch ein Werk Oskar Zwintschers, allerdings nicht das „Bildnis mit Narzissen“, sondern das auf 1895 datierte Gemälde „Rothaariges Mädchen“.

Sicherungsanordnung und Beschlagnahme der Kunstsammlung

Unter dem zunehmenden Verfolgungsdruck durch die Nationalsozialisten emigrierte der jüdische Unternehmer mit seiner Familie 1938 in die Vereinigten Staaten. Im Zuge der „Arisierung“ der Firma war auch das in Deutschland zurückgebliebene Vermögen (darunter die Kunstsammlung) von Sigmund Waldes durch die Devisenstelle beim Oberfinanzpräsidenten Dresden unter sogenannte Sicherungsanordnung gestellt und teilweise gepfändet worden. Ein entsprechendes „Verzeichnis der gepfändeten Sachen“ führt insgesamt 26 Kunstwerke auf, darunter mit der laufenden Nummer 7 auch das „Bildnis mit Narzissen v. Zwintscher“. Als Waldes nach seiner Flucht in die USA finanzielle Mittel benötigte, war er gezwungen, die in Dresden zurückgelassenen Kunstwerke über einen Treuhänder zu verkaufen. Der Erlös ging an das Deutsche Reich. Höchstwahrscheinlich war das Zwintscher-Gemälde über den Treuhänder nach Berlin gelangt, wo es dann freihändig verkauft wurde.

Das Gemälde und seine nachweisbare Provenienz

Oskar Zwintschers auf 1905 datiertes „Bildnis mit Narzissen“ lässt sich bereits ab 1906 mehrfach in der Literatur nachweisen. So war es von Juni bis Oktober 1906 zusammen mit einem weiteren Frauenbildnis des Malers auf der „Dritten Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes“ im Großherzoglichen Museum in Weimar präsentiert worden. Georg Biermann (1880-1949) legte in seiner Rezension der Ausstellung im Leipziger Tagblatt einen deutlichen Fokus auf Oskar Zwintscher, der so überragend mit seinen aparten Frauenbildnissen aus dem übrigen Rahmen heraustritt (…)[1].

Für Mai bis Oktober 1907 lässt sich eine Beteiligung des Bildnisses an der „Internationalen Kunstausstellung“ in Mannheim nachweisen. Die früheste Schwarzweiß-Abbildung des Gemäldes findet sich 1907 in Willy Pastors (1867-1933) Artikel zu Oskar Zwintscher in der Zeitschrift „Deutsche Kunst und Dekoration“ (21.1907/08) (Foto). Es ist davon auszugehen, dass sich das Werk noch im Eigentum des Künstlers befunden hatte, bevor es im Juli 1908 auf der „Großen Kunstausstellung Dresden“ an eine bislang unbekannte Person verkauft worden war.

Eine erste Beschreibung des Bildnisses verdanken wir dem Kunstkritiker Franz Servaes (1862-1947) in seinem Aufsatz zu Oskar Zwintscher aus dem Jahr 1912:

Im „Bildnis mit Narzissen“, einem farbig besonders delikat abgestimmten Werk, dienen Blumen sowohl wie Gobelin an erster Stelle schmückenden Absichten. Irgendetwas Wundersames sollte um das eigenartig reizvolle junge Weib herum sein, den Ausdruck des Rätselhaften zu verstärken.[2]

Nach Oskar Zwintschers frühem Tod im Februar 1916 hatte der Sächsische Kunstverein in Dresden bereits im April 1916 eine umfassende Gedächtnisausstellung ausgerichtet, die fast das gesamte Werk des Künstlers umfasste. Im begleitenden Katalog ist das Gemälde als aus dem Besitz von „Franz Kühne, Schandau“ aufgeführt. Trotz umfangreicher Recherchen konnte bislang nichts Näheres zu Franz Kühne festgestellt werden, auch nicht, wie lange sich das Gemälde in dessen Besitz befunden hatte und wann es in die Sammlung von Sigmund Waldes, Dresden gelangt war. In dessen Besitz lässt es sich im Juli 1939 anhand der Beschlagnahmeliste belegen. Danach verliert sich für mehrere Jahrzehnte die Spur des Gemäldes, auch das im Jahr 1999 erschienene Werkverzeichnis der Gemälde Oskar Zwintschers gibt an, dass der „Verbleib unbekannt“ sei.[3]

Berliner Auktion im November 2014

Erst im November 2014 tauchte das bis dahin nur als Schwarzweiß-Abbildung bekannte Werk im Katalog des Berliner Auktionshauses Grisebach mit der Provenienzangabe „aus sächsischem Privatbesitz“ wieder auf. Ferdinand Wolfgang Neess erwarb das Gemälde auf dieser Auktion und überließ es im März 2017 als Teil seiner Jugendstilsammlung dem Museum Wiesbaden als Schenkung.

Faire und gerechte Lösung mit den Erben nach Sigmund Waldes

In Anerkennung der Verfolgung Sigmund Waldes durch das NS-Regime und des damit verbundenen NS-verfolgungsbedingten Entzugs des Gemäldes einigten sich das Museum Wiesbaden und die Erben von Sigmund Waldes im Rahmen einer fairen und gerechten Lösung (im März 2024) darauf, dass das Werk gegen Leistung einer Entschädigungszahlung im Eigentum des Museums verbleibt. 

Der Fall war Anlass für eine Ausweitung der Recherchen in Form eines gesonderten Provenienzforschungsprojekts zu den weiteren Gemälden, Pastellen und Aquarellen aus der Sammlung Neess (siehe unter „Projekte“: Gemälde und Zeichnungen aus der Schenkung F. W. Neess).

Miriam Olivia Merz
 

[1] Vgl. Biermann, Georg: Die Künstlerbundausstellung in Weimar, in: Leipziger Tageblatt, Nr. 323, 28. Juni 1906, S. 1 (Feuilleton).

[2]Vgl. Servaes, Franz: Oskar Zwintscher, in: Velhagen & Klasings Monatshefte (Jahrgang 1912/13), S. 85.

[3] Vgl. Rolf Günther, Oskar Zwintscher 1870-1916. Leben und Werk mit dem Werkverzeichnis der Gemälde, Dresden 1999, Nr. 81. 

Schwarzweiß-Abbildung des Gemäldes in der Zeitschrift „Deutsche Kunst und Dekoration“
Schwarzweiß-Abbildung des Gemäldes in der Zeitschrift „Deutsche Kunst und Dekoration“ (21.1907/08), S. 347.