Max Liebermanns Zeichnung Mutter und Kind

Zum Tag der Provenienzforschung

Zum Tag der Provenienzforschung, am 14. April 21 wird ein aktuelles Recherchebeispiel im Museum Wiesbaden vorgestellt.
- Max Liebermann, Mutter mit Kind - Provenienzforschung zu einem Depot-Fund -

Provenienzforschung zu einem Depot-Fund

Ein wichtiges Ziel der Provenienzforschung zu NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern ist die möglichst lückenlose Klärung der Besitzerwechsel eines Kunstwerkes im Zeitraum von 1933 bis 1945.

Miriam Merz

Manchmal kann aufgrund fehlender Quellenüberlieferungen die  Provenienz eines Objektes während der NS-Zeit nicht restlos bestimmt und folglich ein NS-verfolgungsbedingter Entzug nicht ausgeschlossen werden. Aber auch in solchen Fällen können die Ergebnisse der Provenienzforschung wichtige Details und Informationen zur Sammlungs- und Objektgeschichte beitragen. Auf dem Blatt ist eine Mutter mit Kind im Arm auf einem Baumstamm sitzend dargestellt. Im Hintergrund sehen wir eine weite Landschaft. Ein Bauer führt einen von Ochsen gezogenen Pflug über ein Feld. Die Zeichnung ist unten links signiert: „M. Liebermann“. Die Zeichnung war nach ihrem Eingang in den Sammlungsbestand des Museums als Geschenk von Rose und Friedrich Klein im Jahr 1980  zunächst nicht inventarisiert worden; Zuschreibung, Entstehungsjahr und Technik waren weder gesichert noch bekannt. Im Zuge der Recherchen zu ihrer Provenienz konnte auf Nachfrage beim Max Liebermann-Archiv die Zeichnung der Hand des Künstlers zugeordnet werden und eine Datierung auf 1917 vorgenommen werden. Max Liebermann hat für seine Zeichnung schwarze Kreide auf Velinpapier verwendet, wie eine Untersuchung der Papierrestauratorin des Museums Wiesbaden erbrachte. Einen ersten Hinweis auf die Herkunft der Zeichnung konnte der Aufschrift auf dem ehemaligen Passepartout entnommen werden. Dort steht „Frau M. Diez-Dührkoop“ und „M. Liebermann, 21.9.1917“. Es handelt sich um eine Widmung des Malers an die bekannte deutsche Fotografin Minya Diez-Dührkoop (1873—1929).

Viele Künstler der Moderne ließen sich von der in Hamburg tätigen Fotografin porträtieren — so auch mehrfach Max Liebermann. Wie aus überlieferten Briefen des Malers hervorgeht, war diese Zeichnung ein Geschenk Max Liebermanns an Minya Diez-Dührkoop. Als Dank für Fotoabzüge, die sie im Juli 1917 erstellt hatte, durfte sie sich in Max Liebermanns Atelier in Berlin eine Zeichnung aussuchen.Minya Diez-Dührkoop wirkte mit ihrem fotografischen Schaffen über Hamburg hinaus. Die Fotografin gehörte 1919 zu den ersten Mitgliedern der berufsständischen Gesellschaft Deutscher Lichtbildner (GDL), war Teil des Hamburger Kunstlebens und sammelte zeitgenössische Kunst. Seit 1910 war sie passives Mitglied der Künstlervereinigung „Die Brücke“. Interessant ist, dass innerhalb des überlieferten Porträtwerks Minya Diez-Dührkoops das Thema Mutter und Kind eine besondere Rolle spielt — und sie vermutlich auch deshalb genau dieses Blatt mit der Darstellung einer stillenden Mutter ausgewählt hatte.

Die Zeichnung stammt aus einem Skizzenbuch Max Liebermanns, wie sich am gerissenen Rand der linken Blattkante erkennen lässt. Sie ist vermutlich 1917 entstanden, wobei Max Liebermann dabei Motive aus seinem eigenen früheren Werk aufgreift. So stammen die Darstellungen der stillenden Mutter und des pflügenden Bauern aus einem seiner Entwürfe für die Darstellung des Frühlings innerhalb eines Jahreszeitenzyklus, den er 1898 für die Dekoration des Rathauses von Altona gemacht hatte. Ob die Zeichnung bis zum Tod der Fotografin im Jahr 1929 in ihrem Besitz verblieben war, ließ sich noch nicht herausfinden. Ungeklärt ist bislang auch noch, wann Rose und Friedrich Klein das Blatt erworben hatten. Bemerkenswert ist, dass der Passepartoutrahmen die Zeichnung seit 1917 begleitet hat — ohne die darauf befindliche Widmung Max Liebermanns hätte diese Provenienzgeschichte nicht erzählt werden können.

Fazit

Um die Provenienz eines Kunstwerks klären zu können, braucht es Ansatzmöglichkeiten für Recherchen — seien es schriftliche Quellen wie Ankaufsunterlagen, Korrespondenzen etc. oder Spuren wie diese Widmung. Je bekannter ein Künstler ist, desto größer sind auch die Chancen, dass sein Werk bereits wissenschaftlich erfasst ist. Von Max Liebermann gibt es einen mehrbändigen Catalogue Raisonné der Gemälde und eine bearbeitete kritische Ausgabe seiner Briefe — beides sind wichtige Sekundärquellen für die Provenienzforschung. Auch wenn die Provenienz der Zeichnung für den Zeitraum 1933 bis 1945 bislang nicht abschließend geklärt werden konnte, so lieferten die Recherchen gleichwohl wertvolle Details und Erkenntnisse zu ihrer Objektbiografie.

Miriam Olivia Merz