Provenienzforschung zu Arbeiten auf Papier aus der Sammlung WELLA im HLMD

Veröffentlicht am 6. Februar 2023

Die Sammlung Wella im HLMD

2013 ging die Sammlung Wella im Zuge der Auflösung des Firmenmuseums nahezu vollständig an das Hessische Landesmuseum Darmstadt (HLMD) über und fand Eingang in die verschiedenen Sammlungsbereiche des Universalmuseums. Die über eintausend Objekte im Bestand der Graphischen Sammlung sind derzeit Gegenstand eines Projektes der Zentralen Stelle für Provenienzforschung Hessen, im Zuge dessen die Erwerbungskontexte auf einen NS-verfolgungsbedingten Entzug geprüft werden. Wenngleich die Wella-Sammlung in der Nachkriegszeit aufgebaut wurde, so fragte man weder auf Kunstmarkt- noch auf Sammlerseite lange Zeit nicht nach, wer der oder die Vorbesitzer eines Objektes waren und durch wessen Hände es gegangen war.

Es ist ein wichtiger Schritt, die Arbeiten auf Papier aus der Sammlung Wella auf einen unrechtmäßigen Entzug zu untersuchen, der auch dazu beträgt, mehr über die Objektbiografien, den Kontext der Sammlung und die an ihrem Aufbau beteiligten Personen zu erfahren.

Von Haartüll über Dauerwelle bis zur Kunst – Die Familie Ströher und das Wella-Museum

Die Marke Wella ist auch heute weltbekannt. Nur noch wenigen dürfte hingegen bekannt sein, dass der Wella-Konzern ab 1952 bis Anfang der 2000er Jahre an seinem Firmensitz in Darmstadt ein umfangreiches Museum mit über 3000 Objekten aufbaute.

1880 legte der gelernte Friseur und Perückenmacher Franz Ströher (1854-1936) in Rothenkirchen im Vogtland mit seinem Betrieb für Haartüll den Grundstein der Firma Wella, die unter den Söhnen Karl (1890-1977) und Georg (1891-1964) zu einem internationalen Unternehmen für Friseurbedarf wurde. Später in Darmstadt angesiedelt, trug man in dem von Karl und Georg Ströher initiierten und öffentlich zugänglichen Wella-Museum eine einzigartige kulturhistorische Sammlung zusammen. Der Anspruch war kein geringerer, als eine Kulturgeschichte des Friseurhandwerks und der Schönheits- und Körperpflege zu dokumentieren.

Frau mit goldenen Locken
Werbung aus den Wella-Nachrichten, Nummer 5/6., 1. November 1930, 1. Jahrgang, Franz Ströher Rothenkirchen i. V., S. 17.

Sammlungsprofil: Mit Flohfallen, dem Toilettenkästchen der Kaiserin Joséphine sowie Modeblättern, Karikaturen und vielem mehr die Geschichte der Schönheitspflege dokumentieren

Das Sammlungsprofil spiegelt den Anspruch wider, die Entwicklung der Schönheits- und Körperpflege von den frühzeitlichen Anfängen bis in das 20. Jahrhundert hinein inhaltlich zu beleuchten. Dies nicht nur epochen-, sondern auch länderübergreifend. Auch gattungsspezifisch herrscht eine große Vielfalt vor: So fanden technische Gegenstände und Kunsthandwerk, Gemälde, aber auch zahlreiche Druckgrafiken verschiedenster Techniken, einige wenige Zeichnungen und zahlreiche Bücher sowie Dokumente Eingang in die Sammlung.

Die Sammlung zeigt eindrucksvoll die Verquickung von Schönheits- und Gesundheitspflege. So war die Entwicklung des Friseurberufes mit der des Baders, Wunderheilers und des Barbiers eng verbunden. Abbildungen und Texte aus Büchern oder Zeitschriften bringen uns den Arbeitsalltag dieser und weiterer Berufsgruppen näher. Mal ganz sachlich informativ, etwa in Enzyklopädien, mal humorvoll anhand von Typendarstellungen oder Karikaturen.

Plakat mit verschiedenen gezeichneten Gegenständen
Robert Bérnard, Perruquier-Barbier, Etuve et préparation de la Perruque, Pl. 4, Kupferstich. Illustration zu Diderot und D’Alembert, Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, 1771, Inv. Nr. HLMD: We-GR 112 d

Dem jeweiligen Zeitgeist der Epoche geschuldet, nehmen zahlreiche Karikaturen des 18. und 19. Jahrhunderts aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland von Zeichnern wie Gillray, Rowlandson, Daumier und Gavarni teils ad absurdum geführte Frisuren- und Modetrends, politische und gesellschaftliche Themen auf.

Frau mit hoher Frisur
Nach Samuel Hieronymus Grimm, herausgegeben von R. Sayer & J. Bennett, A Hint to the Ladies to take Care of their Heads, 1776, Schabmanier, koloriert, Inv. Nr. HLMD: We-GR 266

Ferner geben historische Frisuren- und Modedarstellungen aus Zeitschriften Eindrücke über die Modetrends und Kunstfertigkeiten verschiedener Epochen und Kulturen. Eine Besonderheit stellen in dem Konvolut der Mode- und Schönheitsdarstellungen auch die japanischen Farbholzschnitte und die beiden indischen Miniaturmalereien dar.

Warum Provenienzforschung? Verdächtige Merkmale

So vielfältig die Themen und Objekte in der Sammlung Wella sind, so sind es auch die Spuren, die sich auf den Objekten und in der Dokumentation finden und bei den Untersuchungen ermittelt wurden. Sie gilt es weiter daraufhin zu prüfen, ob sie das Objekt in einen Unrechtskontext stellen.

Die Namen mancher Protagonisten wecken einen Verdacht, den es zu widerlegen oder zu bestätigen gilt. Ankäufe bei dem Darmstädter Buchhändler und Antiquar Carl W. Buemming (1899-1963), der in der NS-Zeit sehr geschäftstüchtig agierte und als Repräsentant der Galerie Fischer in Luzern auch über seine Darmstädter Kreise hinaus gut vernetzt war, geben Anlass zu einem genaueren Hinsehen. Nicht weniger ist dies bei dem Kunstversteigerer Karl von der Porten (1897-vermutl. 1970) aus Hannover vonnöten, der bekanntermaßen den Kunstbesitz seines als „jüdisch“ verfolgten Adoptivvaters versteigerte und neben Versteigerungen auch mit Schätzungen von Haushaltsauflösungen sein Geld verdiente. Besonderes Augenmerk lenkt auch das Etikett der „arisierten“ Firma Franz Leuwer in Bremen auf sich. Das von Friedrich Wilhelm Kleukens (1878-1956) gestaltete Etikett für die Firma Leuwer ist mit dieser Anschrift frühestens auf 1905/06 und spätestens auf 1943 zu datieren. Ab 1936 war der langjährige Angestellte Carl Emil Spiegel alleiniger Inhaber, nachdem die Witwe von Franz Leuwer gänzlich aus dem Geschäft gedrängt worden war. Es ist erwiesen, dass Spiegel mit Gütern aus sogenannten „Judenauktionen“ handelte. Ob die betroffenen Objekte Hinweise darauf geben, dass sie in solch einem Kontext standen, ist weiter zu untersuchen.

Etikett Franz Leuwer Kunsthandlung Bremen
Etikett Franz Leuwer Kunsthandlung Bremen

Aber auch Provenienzmerkmale, die zu unbekannten oder weniger bekannten Personen und Institutionen führen, wecken Verdachtsmomente. So findet sich in einem 1781 in Venedig erschienenen Buch von Joseph Jacob von Plenck zur chirurgischen Ausbildung ein Stempel der Biblioteca Civica Capodistria. Die Bibliothek in der slowenischen Hafenstadt Koper war 1850 gegründet worden und verzeichnet mehrere Verlustphasen, insbesondere während des Zweiten Weltkrieges. Mögliche Gründe für das Ausscheiden des Buches könnten Raub, Verlust im Zuge von Evakuierung oder aber auch Deakzession sein. Die Kontaktaufnahme mit der Institution versucht, dies aktuell zu klären. Ein reguläres Ausscheiden müsste sich dokumentiert finden und wäre im Normalfall im Buch kenntlich gemacht.

Es ist ein Glück, wenn sich Hinweise auf den Vorbesitzer erhalten haben, doch ist dies nicht immer der Fall. Im Zuge der Untersuchungen wurde auch die aktive Zerstörung von Besitzzeichen festgestellt. Während der mit einem Firmenaufkleber des Verkäufers überdeckte Namenszug in einem Buch mittels Durchlicht noch entziffert werden kann, ist in einem anderen Fall die Identifikation eines herausgeschnittenen Merkmals (wohl ein Stempel) unmöglich. Dass letztere grobe und wenig elegante Tilgung zum Zwecke der Vertuschung erfolgt ist, liegt nicht fern.

Jennifer Chrost