Zum Internationalen Tag der Provenienzforschung 2023

Veröffentlicht am 6. April 2023

Mittelalterliche Landschaft an einer Küste mit Burgruine
Jakob Philipp Hackert, Der Venustempel in Baja, 1798

Der Venustempel in Baja

Seit 1936 gehört das Gemälde „Der Venustempel in Baja“ von Jakob Philipp Hackert (1737-1807) zum Bestand des Wiesbadener Museums. Die Provenienz des auf 1798 datierten Werkes konnte im Zuge von Recherchen beinahe lückenlos rekonstruiert werden und ein NS-verfolgungsbedingter Entzug ist auszuschließen. Die Herkunft des Gemäldes lässt sich bis in die Familie des Malers zurückführen. Darüber hinaus enthält die Objektbiografie zahlreiche spannende Bezüge zur Institutions- und Sammlungsgeschichte des Museums, auch über die NS-Zeit hinaus.

Jakob Philipp Hackert, einer der wenigen deutschsprachigen Landschaftsmaler seiner Zeit von europäischem Rang, arbeitete nach seiner Ausbildung in Berlin und Aufenthalten in Schweden und insbesondere Frankreich, die überwiegende Lebenszeit in Italien. Hier etablierte er sich als international gefragter Künstler, der bis ins 19. Jahrhundert hinein das Bild der mediterranen Landschaft prägte. Ab 1769 war er zunächst in Rom tätig, bevor er ab 1786 für König Ferdinand IV. als Hofmaler arbeitete. Italienreisende aus aller Welt, unter ihnen deutsche Künstler, englische Adlige und prominente fürstliche Auftraggeber wie die russische Zarenfamilie, steigerten seinen Bekanntheitsgrad und verbreiteten seine Werke in ganz Europa. Schließlich festigte die 1811 von Goethe veröffentlichte umfangreiche Biografie seinen Ruf als herausragender Landschaftsmaler des 18. Jahrhunderts.

Das Gemälde zeigt die Ruine des sogenannten Venustempels von Baja (früher Baiae), einer an der kampanischen Küste westlich von Pozzuoli gelegenen Stadt, die für ihre Thermenanlagen aus hadrianischer Zeit berühmt war. Nach rechts hin öffnet sich der Blick auf den Golf von Pozzuoli und die belebte Hafenanlage von Baiae. In direkter Umgebung zur detailgenau dargestellten Ruine rasten mehrere Wanderer sowie eine Hirtenfamilie. Im Gelände verteilt befinden sich Ziegen, so auch auf dem im rechten Bildvordergrund liegenden großen Stein, der die Bezeichnung „Tempio di Venere a Baja Filippo Hackert dipinse 1798“ trägt.

Geschenk an den Nassauischen Kunstverein

Das Landschaftsgemälde von Jakob Philipp Hackert war ursprünglich dem Nassauischen Kunstverein im Jahr 1931 von Emma Eichhorn (1871-1964) aus Wiesbaden als Geschenk übergeben worden. Ihr Ehemann Bruno Eichhorn (1864-1926) hatte das Gemälde von einer Cousine geerbt, die eine Nachkommin von Wilhelmine Behrendt, geb. Hackert (Lebensdaten unbek.), der jüngsten Schwester des Künstlers war. Sie war gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Berliner Kaufmann und Hofrat Friedrich Christian Behrendt (1765-1838), Haupterbin ihres Bruders.

Erwerbung im Tausch

Durch einen komplexen Tausch mit dem Nassauischen Kunstverein wurde das Gemälde zusammen mit zwei weiteren Gemälden für die Sammlung der Wiesbadener Gemäldegalerie erworben. Im Gegenzug erhielt der Kunstverein die Sammlung „Neue Form“ aus dem Bestand der Gemäldegalerie. Die aus rund 60 modernen kunstgewerblichen Gegenständen aus dem Bauhaus-Umfeld bestehende Sammlung (Arbeiten aus Gewebe, Holz, Glas, Metall, Leder und Keramik) war 1929, nur wenige Jahre zuvor, vom damaligen Direktor Schenk zu Schweinsberg (1893-1990) mit Unterstützung aus Mitteln des Reichsministers des Inneren begründet worden.

Der Tausch erfolgte in Abstimmung mit der Stadtverwaltung Wiesbaden auf Anregung von Hermann Voss (1884-1969), der ab April 1935 das Amt des Galeriedirektors innehatte. Da die weitere Ausgestaltung dieser Sammlung „Neue Form“ „teils aus Geldmangel, teils aus grundsätzlichen Bedenken gegen eine solche tendenziös ausgewählte moderne kunstgewerbliche Sammlung nach 1933 unterblieben“ sei, hatte er vorgeschlagen, diese dem Nassauischen Kunstverein zur Verwendung als Einzelgewinne bei den jährlich stattfindenden Verlosungen unter seinen Mitgliedern zu überlassen. Im Gegenzug überließ der Nassauische Kunstverein aus seinem Besitz der Stadtverwaltung als Trägerin der Gemäldegalerie drei Gemälde, darunter die hier zu besprechende italienische Landschaft von Jakob Philipp Hackert.

Kriegsbedingte Auslagerung

Hermann Voss hatte am 1. April 1943 sein Amt als „Sonderbeauftragter für das Hitlers Führermuseum in Linz“ und als Direktor der Staatlichen Gemäldegalerie Dresden angetreten, wobei er die Leitung der Wiesbadener Gemäldegalerie ehrenamtlich weiterführte und alle Aufgaben an die dort tätige wissenschaftliche Mitarbeiterin Juliane Harms (1902-1966) delegierte. Auf Veranlassung von Hermann Voss wurden ab 1943 besonders wertvolle Kunstwerke der Gemäldegalerie Wiesbaden, darunter auch das Hackert-Gemälde, aus Schutz vor Kriegseinwirkungen in Depots der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden – zunächst in Schloß Weesenstein und schließlich in Schloß Pillnitz – ausgelagert. Auch die von Hermann Voss nach seinem Weggang aus Wiesbaden in den Jahren 1943 und 1944 für die Wiesbadener Galerie angekauften Gemälde wurden direkt nach Schloss Weesenstein geschickt.

Bemühungen um Rückführung

Direkt nach Kriegsende bemühten sich die Stadt Wiesbaden und die Gemäldegalerie darum, die nun in der sowjetischen Besatzungszone ausgelagerte Sammlung wieder zurückzuholen. Als Beleg für das Eigentum der Wiesbadener Gemäldegalerie an den Werken wurden seitens der Dresdner Gemäldegalerie Exemplare des letzten Bestandskataloges von 1937 sowie Ergänzungslisten zu den nach 1939 getätigten Erwerbungen erbeten. Die darin enthaltenen Angaben bildeten die Grundlage für eine in Dresden erstellte Liste der dort als „Depot Wiesbaden“ geführten Bilder. Entsprechend erhielten die Gemälde auf ihren Rückseiten jeweils die orangerote Markierung „W“ für Wiesbaden nebst fortlaufender Nummer (vgl. Foto der Rückseite des Hackert-Gemäldes „10 W“).

Details der Rückseite: 10 W auf Holz
Detail der Rückseite des Gemäldes „Der Venustempel in Baja“ von Jakob Philipp Hackert.

Auch in den Folgejahren waren die jeweils wechselnden Museumsdirektorinnen und -direktoren im Zusammenhang mit Fragen rund um dieses Konvolut immer wieder im Austausch. So war Clemens Weiler (1909-1982) im Oktober 1953 auf Einladung des Lucas Cranach-Komitees nach Weimar gereist und konnte dort im Rahmen einer Museumsleiterkonferenz die Direktorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Gertrud Rudloff-Hille (1900-1983) auf die Wiesbadener Bilder ansprechen. Im Juni 1956 hatte Weiler bei seinem Aufenthalt in Dresden anlässlich der 750-Jahr-Feier erstmalig die Gelegenheit, sich vom guten Zustand der mittlerweile im Schloss Pillnitz untergebrachten Kunstwerke der Wiesbadener Gemäldegalerie zu überzeugen.

Innerdeutscher Kulturaustausch und Rückkehr nach Wiesbaden

Parallel wurde auch auf politischer Ebene versucht, eine Lösung zur Rückgabe der in Gewahrsam der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden befindlichen Bilder, herbeizuführen. Im Mai 1986 einigten sich die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik im sogenannten Kulturabkommen auf die gegenseitige Rückgabe von Gemälden, die während des Zweiten Weltkriegs ausgelagert waren. Die Vereinbarung sah die Übergabe von insgesamt 290 Kunstwerken an das Schloßmuseum Darmstadt, das Wallraf-Richartz-Museum in Köln sowie an das Museum Wiesbaden im Tausch gegen Gemälde an Museen der DDR vor.

Im August 1988 trafen 63 der ehemals in Dresden ausgelagerten Werke im Museum Wiesbaden ein, darunter auch Jakob Philipp Hackerts „Venustempel in Baja“. Zusammen mit weiteren Werken dieses Konvoluts war es von Oktober 1992 bis Februar 1993 erstmals nach über 50 Jahren im Rahmen der Sonderausstellung „Aus Dresden rückgeführte Gemälde“ wieder im Museum Wiesbaden ausgestellt. Von 2013 bis 2018 war es Teil der Dauerpräsentation im Landschaftsraum der Sammlung Alte Meister im sanierten Südflügel des Museums.

Literatur:

Amtlicher Katalog der Gemäldegalerie Wiesbaden, Wiesbaden 1937.

Amtlicher Katalog der Gemäldegalerie Wiesbaden, Nachtrag, Wiesbaden 1939.

Goldkuhle, Fritz: Die Ruine des ’Venustempels von Baiae‘ als Bildmotiv in der Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Bonner Jahrbücher 159, 1959, S. 272-280.

Claudia Nordhoff, Jakob Philipp Hackert, 1737-1807. Verzeichnis seiner Werke, Berlin 1994.

Miriam Olivia Merz