Der Venustempel in Baja
Seit 1936 gehört das Gemälde „Der Venustempel in Baja“ von Jakob Philipp Hackert (1737-1807) zum Bestand des Wiesbadener Museums. Die Provenienz des auf 1798 datierten Werkes konnte im Zuge von Recherchen beinahe lückenlos rekonstruiert werden und ein NS-verfolgungsbedingter Entzug ist auszuschließen. Die Herkunft des Gemäldes lässt sich bis in die Familie des Malers zurückführen. Darüber hinaus enthält die Objektbiografie zahlreiche spannende Bezüge zur Institutions- und Sammlungsgeschichte des Museums, auch über die NS-Zeit hinaus.
Jakob Philipp Hackert, einer der wenigen deutschsprachigen Landschaftsmaler seiner Zeit von europäischem Rang, arbeitete nach seiner Ausbildung in Berlin und Aufenthalten in Schweden und insbesondere Frankreich, die überwiegende Lebenszeit in Italien. Hier etablierte er sich als international gefragter Künstler, der bis ins 19. Jahrhundert hinein das Bild der mediterranen Landschaft prägte. Ab 1769 war er zunächst in Rom tätig, bevor er ab 1786 für König Ferdinand IV. als Hofmaler arbeitete. Italienreisende aus aller Welt, unter ihnen deutsche Künstler, englische Adlige und prominente fürstliche Auftraggeber wie die russische Zarenfamilie, steigerten seinen Bekanntheitsgrad und verbreiteten seine Werke in ganz Europa. Schließlich festigte die 1811 von Goethe veröffentlichte umfangreiche Biografie seinen Ruf als herausragender Landschaftsmaler des 18. Jahrhunderts.
Das Gemälde zeigt die Ruine des sogenannten Venustempels von Baja (früher Baiae), einer an der kampanischen Küste westlich von Pozzuoli gelegenen Stadt, die für ihre Thermenanlagen aus hadrianischer Zeit berühmt war. Nach rechts hin öffnet sich der Blick auf den Golf von Pozzuoli und die belebte Hafenanlage von Baiae. In direkter Umgebung zur detailgenau dargestellten Ruine rasten mehrere Wanderer sowie eine Hirtenfamilie. Im Gelände verteilt befinden sich Ziegen, so auch auf dem im rechten Bildvordergrund liegenden großen Stein, der die Bezeichnung „Tempio di Venere a Baja Filippo Hackert dipinse 1798“ trägt.
Geschenk an den Nassauischen Kunstverein
Das Landschaftsgemälde von Jakob Philipp Hackert war ursprünglich dem Nassauischen Kunstverein im Jahr 1931 von Emma Eichhorn (1871-1964) aus Wiesbaden als Geschenk übergeben worden. Ihr Ehemann Bruno Eichhorn (1864-1926) hatte das Gemälde von einer Cousine geerbt, die eine Nachkommin von Wilhelmine Behrendt, geb. Hackert (Lebensdaten unbek.), der jüngsten Schwester des Künstlers war. Sie war gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Berliner Kaufmann und Hofrat Friedrich Christian Behrendt (1765-1838), Haupterbin ihres Bruders.
Erwerbung im Tausch
Durch einen komplexen Tausch mit dem Nassauischen Kunstverein wurde das Gemälde zusammen mit zwei weiteren Gemälden für die Sammlung der Wiesbadener Gemäldegalerie erworben. Im Gegenzug erhielt der Kunstverein die Sammlung „Neue Form“ aus dem Bestand der Gemäldegalerie. Die aus rund 60 modernen kunstgewerblichen Gegenständen aus dem Bauhaus-Umfeld bestehende Sammlung (Arbeiten aus Gewebe, Holz, Glas, Metall, Leder und Keramik) war 1929, nur wenige Jahre zuvor, vom damaligen Direktor Schenk zu Schweinsberg (1893-1990) mit Unterstützung aus Mitteln des Reichsministers des Inneren begründet worden.
Der Tausch erfolgte in Abstimmung mit der Stadtverwaltung Wiesbaden auf Anregung von Hermann Voss (1884-1969), der ab April 1935 das Amt des Galeriedirektors innehatte. Da die weitere Ausgestaltung dieser Sammlung „Neue Form“ „teils aus Geldmangel, teils aus grundsätzlichen Bedenken gegen eine solche tendenziös ausgewählte moderne kunstgewerbliche Sammlung nach 1933 unterblieben“ sei, hatte er vorgeschlagen, diese dem Nassauischen Kunstverein zur Verwendung als Einzelgewinne bei den jährlich stattfindenden Verlosungen unter seinen Mitgliedern zu überlassen. Im Gegenzug überließ der Nassauische Kunstverein aus seinem Besitz der Stadtverwaltung als Trägerin der Gemäldegalerie drei Gemälde, darunter die hier zu besprechende italienische Landschaft von Jakob Philipp Hackert.
Kriegsbedingte Auslagerung
Hermann Voss hatte am 1. April 1943 sein Amt als „Sonderbeauftragter für das Hitlers Führermuseum in Linz“ und als Direktor der Staatlichen Gemäldegalerie Dresden angetreten, wobei er die Leitung der Wiesbadener Gemäldegalerie ehrenamtlich weiterführte und alle Aufgaben an die dort tätige wissenschaftliche Mitarbeiterin Juliane Harms (1902-1966) delegierte. Auf Veranlassung von Hermann Voss wurden ab 1943 besonders wertvolle Kunstwerke der Gemäldegalerie Wiesbaden, darunter auch das Hackert-Gemälde, aus Schutz vor Kriegseinwirkungen in Depots der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden – zunächst in Schloß Weesenstein und schließlich in Schloß Pillnitz – ausgelagert. Auch die von Hermann Voss nach seinem Weggang aus Wiesbaden in den Jahren 1943 und 1944 für die Wiesbadener Galerie angekauften Gemälde wurden direkt nach Schloss Weesenstein geschickt.
Bemühungen um Rückführung
Direkt nach Kriegsende bemühten sich die Stadt Wiesbaden und die Gemäldegalerie darum, die nun in der sowjetischen Besatzungszone ausgelagerte Sammlung wieder zurückzuholen. Als Beleg für das Eigentum der Wiesbadener Gemäldegalerie an den Werken wurden seitens der Dresdner Gemäldegalerie Exemplare des letzten Bestandskataloges von 1937 sowie Ergänzungslisten zu den nach 1939 getätigten Erwerbungen erbeten. Die darin enthaltenen Angaben bildeten die Grundlage für eine in Dresden erstellte Liste der dort als „Depot Wiesbaden“ geführten Bilder. Entsprechend erhielten die Gemälde auf ihren Rückseiten jeweils die orangerote Markierung „W“ für Wiesbaden nebst fortlaufender Nummer (vgl. Foto der Rückseite des Hackert-Gemäldes „10 W“).