Der Landschafts- und Historienmaler Eugen Bracht (1842-1921) hatte sich ab 1900 mehrfach zu Studienexkursionen in Plattenburg in der Prignitz aufgehalten und dort das Motiv für sein Gemälde „Das Quitzow-Schloss“ gefunden. Im nahegelegenen Rittergut Kletzke war er auf die Ruine der Wasserburg Kletzke, auch Quitzowburg genannt, gestoßen. Vor Ort hielt er die Ruine in unterschiedlichen Lichtstimmungen und Perspektiven in zahlreichen Skizzen und Notizen fest, bevor er das großformatige Ölgemälde schließlich 1902 in seinem Atelier auf der Brühlschen Terrasse in Dresden realisierte. Eugen Bracht war 1902 dem Ruf an die Königliche Akademie der bildenden Künste, Dresden gefolgt und hatte dort die Leitung des Meisterateliers für Landschaftsmalerei übernommen, nachdem er seit 1883 als Professor für Landschaftsmalerei an der Berliner Hochschule für bildende Kunst gelehrt hatte.
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4. Internationaler Tag der Provenienzforschung 2022
Noch im Entstehungsjahr wurde das Gemälde laut Eugen Brachts Registerbuch von der Berliner Privatiere Henriette Haase (+ 1904) erworben (Großkinsky, Manfred, Eugen Bracht. Impression und Inszenierung, in: Kat.Ausst. Exquisit. Kunst des 19. Jahrhunderts. Die Schenkung Jan und Friederike Baechle, Museum Wiesbaden, hrsg. von Peter Forster für das Museum Wiesbaden, München 2020, S. 70-76, hier S. 75.)
Für August bis September 1902 lässt sich bereits eine erste Ausstellungsbeteiligung des Gemäldes in der Rhein-Main-Region feststellen: Der offizielle illustrierte Katalog der Gemälde-Ausstellung Worms führt „Das Quitzowschloss“ unter der Katalog-Nr. 54 auf. Die Wiesbadener Kunsthistorikerin Mela Escherich berichtet lobend und ausführlich über die Schau in der Zeitschrift „Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel“ und erwähnt dabei auch die beiden auf der Ausstellung vertretenen Bracht-Gemälde „Windmühle“ und „Quitzowschloss“. Das Bild war offensichtlich vom Künstler von Dresden aus nach Worms geschickt worden, dies belegen auch die auf der Bildrückseite vorgefundenen Papieraufkleber, die „Professor Bracht, Dresden“ als Absender ausweisen.
Eugen Bracht-Jubiläumsausstellung
Spätestens 1912 ist das Gemälde im Eigentum von Ottilie Wallot (1869-1946), der Tochter des Reichstagsarchitekten Paul Wallot (1841-1912) nachgewiesen. Eugen Bracht und Paul Wallot waren seit ihrer gemeinsamen Zeit an der Darmstädter Höheren Gewerbeschule in den 1850er Jahren miteinander befreundet. Der Katalog der Eugen Bracht-Jubiläumsausstellung, die 1912 von der Freien Vereinigung Darmstädter Künstler auf der Mathildenhöhe veranstaltet worden war, führt „Fräulein Ottilie Wallot, Wiesbaden“ als Leihgeberin des Gemäldes „Das Quitzowschloss“ auf. Einer Liste „Bilder aus Privatbesitz und aus Galerien“ in der im Stadtarchiv Darmstadt überlieferten Ausstellungsakte ist ebenfalls zu entnehmen, dass „Fräulein Tilli Wallot in Wiesbaden-Biebrich“ das Gemälde als Leihgabe zur Verfügung gestellt hatte.
Mittelrheinische Malerei 1800-1900
Von Mai bis Juni 1939 war das Gemälde im Nassauischen Landesmuseum Wiesbaden im Rahmen der Ausstellung „Mittelrheinische Malerei 1800-1900“ ausgestellt und ist im begleitenden Katalog unter der Nr. 46 mit dem Titel „Quitzowburg“ und als Leihgabe aus Privatbesitz aufgeführt. Ein in der Altregistratur des Museums Wiesbaden ausgemachtes „Verzeichnis der Leihgaben in der Städt. Kunstsammlung ab 1932“ listet unter der laufenden Nummer 105 eine Landschaft von Eugen Bracht als Leihgabe von Frl. Wallot aus Wiesbaden auf.
Es ist davon auszugehen, dass das Gemälde nach dem Ende der Ausstellung im Juni 1939 von der Leihgeberin möglicherweise in Folge des Kriegsausbruchs nicht abgeholt worden war und so weiterhin auch über 1945 hinaus in den Räumlichkeiten des Museums verblieb.
Exquisit – Kunst des 19. Jahrhunderts. Schenkung Jan und Friederike Baechle
Nach über 80 Jahren war das Gemälde schließlich nach einer Restaurierung von November 2020 bis September 2021 im Museum Wiesbaden im Rahmen der Ausstellung „Exquisit – Kunst des 19. Jahrhunderts. Schenkung Jan und Friederike Baechle“ ausgestellt (Die Restaurierung des Gemäldes am Museum Wiesbaden wurde gefördert durch die Ernst von Siemens KulturstiftungÖffnet sich in einem neuen Fenster im Rahmen der Corona-Förderlinie für Selbständige in Museen und Sammlungen).
Der begleitende Katalogtext beschreibt das „wiederentdeckte“ Gemälde ebenfalls erstmals wieder nach diesem langen Zeitraum. Die Angaben zur Provenienz konnten seitens der Zentralen Stelle für Provenienzforschung Hessen um wichtige Details ergänzt werden, so dass ein NS-verfolgungsbedingter Entzug ausgeschlossen werden kann.
Anlass für die Provenienzrecherchen war die Zugehörigkeit des Gemäldes zu einem Konvolut von bisher nicht inventarisierten Kunstwerken, die in einem gesonderten Depot des Museum Wiesbaden aufbewahrt werden und unter bislang noch weitestgehend unbekannten Umständen an das Haus gekommen waren. Es handelt sich überwiegend um Unterstellungen von Privatpersonen, Überweisungen bzw. Übergaben von Ministerien und der Stadtverwaltung sowie um Bilder, die im Zusammenhang mit Ausstellungsprojekten vermutlich als Leihgaben an das Museum gelangt waren.
Ettle-Keller
Vormaliger und zeitweiser Aufbewahrungsort dieses Konvoluts war der sogenannte „Ettle-Keller“. Diese Standortbezeichnung verweist auf eine Zeit, in der das Museumsgebäude der amerikanischen Militärregierung als Sammelstelle für Kunst (Central Collecting Point, CCP) diente. In einem Raum des Museums, dem sogenannten „Ettle-Keller“ waren vermutlich ab 1945 Kunstwerke aus dem Besitz des in den Handel mit NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut involvierten Frankfurter Kunsthändlers Wilhelm Ettle deponiert. Auf Initiative des CCP waren mehrere Objekte aus diesem Konvolut an ihre rechtmäßigen Eigentümer restituiert worden. Für zahlreiche Kunstwerke konnte damals kein NS-verfolgungsbedingter Entzug festgestellt werden, so dass Wilhelm Ettle diese im Jahr 1952 wieder zurückerhielt. Am Museum hatte sich allerdings offenbar die Bezeichnung “Ettle-Keller“ noch lange nach der Auflösung dieses Depots im Jahr 1952 weiter überliefert.
Vor dem Hintergrund von Wilhelm Ettles Beteiligung am NS-Kunstraub galt es, die Provenienz des Gemäldes „Das Quitzowschloss“ von Eugen Bracht insbesondere im Zeitraum von 1933 bis 1945 zu klären. Wie dargelegt, befand sich das Gemälde seit 1912 im Eigentum von Ottilie Wallot, die nicht zur Opfergruppe der unter dem Nationalsozialismus verfolgten Personen gehört hatte. Eine Verbindung zu Wilhelm Ettle kann ausgeschlossen werden und ein NS-verfolgungsbedingter Entzug liegt nicht vor.
Da Ottilie Wallot im November 1946 in Wiesbaden verstorben war, ist zum jetzigen Stand der Recherchen davon auszugehen, dass sich das Gemälde derzeit als Leihgabe aus dem Nachlass von Ottilie Wallot im Museum Wiesbaden befindet.
Miriam Olivia Merz, Larissa Engler
Zentrale Stelle für Provenienzforschung Hessen